Schlechte Stimmung im Winter – von wegen Depression…
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Wenn das Leben mehr Erschöpfung als Freude bringt, muss sich schleunigst etwas ändern. Und genau dann ist Rainer Leichtenberger Euer Ansprechpartner. Er ist Life-Coach aus Düsseldorf und passionierter Wegbegleiter für Menschen, die ihr Leben verändern möchten. Von Themen wie Persönlichkeitsentwicklung über radikale Vergebung bis hin zu Methoden der existenziellen Psychotherapie bietet Rainer Leichtenberger seine Hilfe an, damit Menschen ihr Leben bewusst gestalten können. Wie eine solche Gestaltung aussehen kann, erfahrt Ihr in diesem Artikel zum Thema Winterdepressionen.

Im Moment hat es eine gewisse Konjunktur, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, was eine Winterdepression sei, bzw. ob man selbst eine habe. Die Gründe sind naheliegend, denn zum einen ist die Jahreszeit selbst für viele herausfordernd und zum anderen spürt nahezu jeder eine Art von Erschöpfung, die man früher nicht von sich kannte.

Dazu möchte ich zunächst richtigstellen, dass es eine Winterdepression im engeren Wortsinne nicht gibt. Zwar gibt es bei zu Depressionen neigenden Menschen eine jahreszeitlich bedingte größere Herausforderung, aber von einer Winterdepression als eigenständige Krankheit kann man eigentlich nicht sprechen.

Nun gibt es potentiell drei Möglichkeiten, sich mit seiner Erschöpfung auseinanderzusetzen.

Erstens, Du googelst Dir zurecht, ob Deine Empfindungen und Wahrnehmungen doch Symptome einer Depression sein könnten. Ich würde Dir das nicht empfehlen, denn alle Empfindungen und Wahrnehmungen werden nur in Bezug zu möglichen Krankheitssymptomen gesetzt. „Grundlose Traurigkeit“ könnte z. B. als ein depressives Symptom gewertet werden. Oft ist es aber nur eine Beschreibung dafür, dass jemand nicht mutig oder ernsthaft genug nach innen schaut und deshalb den inneren Bezug zu seiner Traurigkeit nicht entdeckt.
Zweitens kannst Du darauf warten, dass die Sonne wieder scheint und Du alleine deshalb schon wieder etwas zuversichtlicher auf Dich und die Welt schaust.

Winter Depression

Und schließlich hast Du die Möglichkeit, genauer in Dich hinein zu spüren, warum Du Dich niedergeschlagen und kraftlos fühlst. Ich möchte Dich dabei auf drei Zusammenhänge aufmerksam machen, die ich im Moment für wesentlich halte.
Zunächst kann es hilfreich sein zu erkennen, warum der Winter für viele, und vielleicht auch für Dich, so herausfordernd sein kann. Das hat nichts mit dem Wetter zu tun, sondern mit der Situation, dass das Leben des modernen Menschen keinen Rhythmus mehr kennt. Wir sind es so sehr gewohnt, die Nacht zum Tag zu machen, im Winter Erdbeeren zu essen und im Sommer in die Skihalle zu gehen, wann immer uns eben nach diesen Dingen ist. Der moderne Mensch ist aktiv – immer. Deshalb müssen auch schon die Kinder neben ihrem Schulprogramm zum Hockey, Klavierunterricht und Aikido gefahren werden, damit sie später die besten Chancen haben und auf alles vorbereitet sind. Das ist insofern für die meisten schrecklich, weil jeder Mensch Momente der Besinnung braucht, des Nichts-Tuns. Nutzlos Zeit mit sich selbst verbringen. Oder um es mit Astrid Lindgrens Worten zu sagen: „Und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach da zu sitzen und vor sich hin zu schauen.“
Der Winter ist die Zeit, in der sich alle Säfte der Natur nach innen ziehen. Der Baum kommt zur Ruhe, harrt der Dinge, um dann zur rechten Zeit die Energien wieder nach außen zu richten. Der vor-moderne Mensch blieb im Winter zu Hause, ging früh schlafen und brachte Dinge in Ordnung, zu denen er nicht kam, wenn ihn die Frühlingsenergie wieder beschäftigte. Überhaupt müssen die meisten Menschen immer beschäftigt sein. Wären sie das nicht, dann kämen sie in Kontakt mit den Gefühlen und verdrängten Lebensthemen. Lieber nicht. Zur Not gibt es ja auch noch Netflix.
Der moderne Mensch erträgt den Winter also so schwer, weil er mit seiner inne haltenden Natur zum Anhalten auffordert. Anhalten bedeutet Langeweile, bedeutet unangenehme Gefühle, die schnell weg gemacht werden müssen. Das ist der eine Grund, warum Winter für viele schwer zu ertragen ist (gerne Ski zu fahren zählt nicht, weil das auch wieder ein Tun ist, das einen in die Aktivität zwingt).

Die andere Energie, die vor allem in diesem Winter auf uns einwirkt, ist, dass wir uns am Ende des zweiten Corona-Jahres befinden und immer noch kein Ende der Ausnahmesituationen in Sicht ist. Nun haben sich doch so viele impfen und boostern lassen, wir haben hunderte Firmen und Einzelunternehmen dem Lockdown geopfert, die Alten sterben trotzdem, die Kinder müssen unhaltbare Zustände und Gängelungen in den Schulen aushalten (nie war die Suizidrate unter Jugendlichen so groß wie im Moment!) und alles scheint so sinnlos zu sein. Den Vernuftbegabten bleibt noch nicht einmal die Möglichkeit, alles auf die Ungeimpften zu schieben, weil der Blick nach Dänemark, Irland oder Israel zeigt, dass auch eine nahezu vollständige Durchimpfung der Bevölkerung das Infektionsgeschehen nicht nachhaltig verändert.
Wir sind also mit unserer Ohnmacht und Hilflosigkeit auf eine Art und Weise konfrontiert, die uns zutiefst verunsichert und auch ängstigt. Anstatt uns aktiv und mutig damit auseinander zu setzen, dass wir in Wirklichkeit nichts, oder kaum etwas im Leben wirklich in der Hand haben und beeinflussen können, verdrängen wir diese Gefühle. Schon Laotse wusste, dass alles, was der Mensch verdrängt, größer wird. Mehr Macht über uns gewinnt. Und wenn man nicht aufpasst, kann sich dieser Verdrängungsmechanismus, in Verbindung mit der großen Erschöpfung, tatsächlich zu einer Depression auswachsen.

Der dritte Grund für die von vielen wahrgenommene Mattigkeit hängt damit zusammen, dass der Mensch ein soziales und kollektives Wesen ist und alle miteinander verbunden sind. Nie ist das deutlich gewordener als durch die Tatsache, dass wir die gleiche Luft atmen – und all die Gedanken und Ängste, die sich damit in den letzten zwei Jahren negativ verbunden haben. Wir fühlen nicht nur unser eigenes Beschwert-Sein, sondern wir fühlen auch die Erschöpfung unserer Familie, unserer Nachbar*innen und Kolleg*innen. Das ist wichtig zu verstehen und wahrzunehmen! Es ist eine kollektive Erschöpfung, wir sind alle ratlos, wie es weitergehen kann. Deswegen ist es auch so wichtig zusammenzuhalten, nachsichtig zu sein und vor allem nicht alles so persönlich zu nehmen. Die Negativität, oder auch Aggressivität, die sich bei vielen stärker zeigt, ist nichts Persönliches.
Das alles kann man schnell mit einer Depression verwechseln. Manch einem wäre es sogar lieber, er bekäme endlich eine Diagnose, die scheinbar alles erklärt, um sich nicht mit der eigenen Ohnmacht auseinandersetzen zu müssen. Aber so einfach ist es nicht. Es ist eine gemeinschaftliche Herausforderung und es ist auch eine Chance des inneren und spirituellen Wachstums. Wer diese Herausforderung annimmt, wird am Ende gestärkt aus dieser Krise hervorgehen.

Rainer Leichtenberger

Credits: Photograph by Agnieszka Mordaunt & Ben White on Unsplash