Grenzen setzen oder die beste Methode zum gesunden Selbstwertgefühl
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Angelika bekommt oft gesagt, dass sie sich zu viel gefallen lässt. Konflikte kosten sie sehr viel Energie, deswegen möchte sie diese so gut es geht vermeiden. Sie mag es harmonisch. Ohne es zu merken, wird sie dabei immer abhängiger von den Launen anderer. Als sie sich neulich mit Thomas auf ein Date treffen wollte, sagte er erneut kurz davor ab. Seine Begründung mal wieder: „Heute ist irgendwie nicht mein Tag.“ Soll sich Angelika das gefallen lassen?

Natürlich ist es ärgerlich, wenn jemand kurz vorher ein Treffen absagt. Passiert dies häufiger, reagieren einige in so einer Situation verständlicherweise mit Wut und werfen das der Person dann auch direkt an den Kopf. Nicht immer aber wird so offen kommuniziert. Menschen mit wenig Selbstwertgefühl haben oft nicht die Kraft, offen zu sagen, was sie von einer Situation halten, dass sie enttäuscht oder sogar wütend sind. Sie grübeln eher und sind tief verunsichert, überlegen sich, ob vielleicht die Schuld bei ihnen liegen könnte. „Bin ich nicht attraktiv genug?“… „Mag mich die Person nicht mehr?“… Fragen wie diese beschäftigen auch Angelika. Wenn Thomas wirklich an ihr Interesse hat und sie als Menschen respektiert, müsste er doch nicht bei einer kleinen Änderung seiner Stimmung einknicken? Gerne würde sie ihm sagen, dass sie sich mit dieser Situation unwohl fühlt. Aber irgendetwas hindert sie daran. Sie hat Sorge, ob sie möglicherweise überreagiert und die Realität völlig falsch einschätzt, da könnte es schon fast unverschämt rüberkommen, ihm so etwas an den Kopf zu werfen. Diese Unsicherheit blockiert sie und verwischt ihre persönliche Grenze.

DIE EIGENEN GRENZEN ERKENNEN

Was ist eine persönliche Grenze? Wir sind alle unterschiedlich aufgewachsen, haben andere Dinge vermittelt bekommen, persönliche Erfahrungen in allen lebensbereichen gemacht – all dies sind Faktoren, die unsere persönliche Grenze ausmachen. Unsere Grenzen bemessen sich danach, wie viel soziale Energie wir haben. Während es einige gibt, die bei einer Geburtstagsfeier die ganze Nacht durchmachen können, gibt es andere, die unter vielen Menschen sehr schnell überfordert sind. Die einen haben gelernt, bei ihren Eltern immer alles zu bekommen, wenn sie nur fragen, die anderen haben in solchen Momenten Zurückweisung erfahren. Diese individuellen Erfahrungen machen uns als Menschen einzigartig, erfordern aber auch, ganz besonders aufeinander acht zu geben.

Wir alle haben persönliche Grenzen. Wenn diese überschritten werden, fühlen wir uns schlecht, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht. In vielen Situationen ist uns nicht bewusst, warum wir uns schlecht fühlen, wir können das schlechte Gefühl in uns nicht greifen oder einordnen.
Oft ist das der Moment, in dem unsere persönliche Grenze überschritten wurde – wir fühlen uns verletzt und haben dem nichts entgegenzusetzen– das wäre mein Vorschlag zu den folgenden Zeilen.
Was lasse ich mir gefallen? Tut mir das gut? Möchte ich das wirklich? Wenn nicht, warum lasse ich es trotzdem zu? Du kannst also Grenzensetzen lernen indem Du Dir zunächst einmal die Gründe und ihren Ursprung bewusst machst, die Dich derzeit am Grenzensetzen hindern. Wir lernen in unserem Alltag oft Verhaltensweisen, die mit unseren echten Wünschen und Bedürfnissen nichts zu tun haben. In der Psychoanalyse nach Carl-Gustav Jung werden diese nicht bewussten Teile unserer Identität als „Schatten“ bezeichnet. Wenn Du während einer Diskussion beispielsweise Angst vor den Reaktionen anderer zu Deiner geäußerten Meinung hast, ändert das ja nichts daran, dass in Dir dennoch eine Meinung zu existiert, die allerdings immer und immer wieder verdrängt wird. Diese von uns nicht ausgelebten „Schatten“ schwingen stets im Hintergrund mit, es fällt uns aber oft schwer, sie zu erkennen und uns ihnen offen zu stellen (1).

Das bestätigt auch Christian Zinner, Psychotherapeut in Düsseldorf, der seine Klienten bei der Ursachenforschung unterstützt:„Es geht immer darum, (…) auf Spurensuche zu gehen und zu schauen, um welche Gefühle es sich handelt und welche dahinter liegenden Erfahrungen das Problem, das der Klient hat, aufrecht halten. Das wird aufgelöst, ist rekonditioniert oder reframed, wie man so schön sagt in der Psychologie, und dann bekommt das im Inneren eine ganz andere neue Bedeutung. Man wird innerlich frei, neue Ressourcen werden freigesetzt und man geht mit einem anderen Gefühl durchs Leben.“

Darüber hinaus ist es wichtig, den Mut zu finden, offen zu kommunizieren. Gerade in der Kennenlernphase, in der Du weniger gut einschätzen kannst, wie Dein Gegenüber reagiert, kann es einige Hürden beim Setzen von Grenzen geben. Im Fall von Angelika könnte es durchaus möglich sein, dass Thomas patzig wird, es kann aber auch genau so gut sein, dass er verständnisvoll und liebevoll reagiert. Letzteres ist in der Regel eher der Fall. In unserem Kopf malen wir uns aber oft düstere Szenarien aus, die nicht wirklich der Realität entsprechen. Um zu vermeiden, dass so etwas eintreten könnte, halten wir unsere wahre Meinung zurück. Welche Gründe kann es noch geben? Die Kommunikationstrainerin Inga Paulsen zählt auf:

– Du hast Angst vor der Reaktion anderer.
– Du bist es gewöhnt, nie Deine wahre Meinung zu sagen.
– Du willst es anderen recht machen bzw. dass es ihnen gut geht.
– Du weißt nicht, welche die richtigen Worte für Dein Anliegen sind.
– Du suchst zu lange nach den richtigen Worten.
– Du hast das Gefühl, nicht richtig gehört zu werden.

GRENZEN UND EMPATHIE IM KONFILKT

Einige dieser Gründe zeigen aber auch, dass ein Mensch, der nicht gerne in Konfliktsituationen geraten will, in Wirklichkeit sehr empathisch und sensibel ist. Wenn Du möchtest, dass den anderen alles recht gemacht wird, kann das auch bedeuten, dass Du einfach nur möchtest, dass es ihnen gut geht. Angelika möchte auch, dass Thomas sich gut fühlt und nimmt sich selbst in ihren Bedürfnissen zurück. Nun kann so aber auch folgendes Problem entstehen: Thomas glaubt, dass der Umgang mit ihr so völlig in Ordnung ist. Wir haben alle unterschiedliche Grenzen, dadurch dass wir unterschiedlich groß werden und unterschiedliche Erfahrungen machen. Thomas beispielsweise hat gelernt, dass ein Mensch immer etwas sagt, wenn ihm etwas nicht gefällt. Da Angelika sich in Konfliktsituationen aber davor scheut, für sich richtig einzustehen, kann Thomas auch gar nicht wissen, dass er überhaupt etwas falsch macht, wenn er darüber hinaus kein Gespür für sozialen Umgang hat und anhand der Mimik und Gestik von Angelika nicht deuten kann, wie es ihr geht, ist der Konflikt vorprogrammiert. Wie wichtig ist es also, offen zu kommunizieren.

Wir stellen fest: Wenn Thomas das nächste Mal ein Treffen kurzfristig absagt, sollte Angelika ganz offen sagen, wenn sie sich damit schlecht fühlt. Natürlich auch in anderen Situationen, wenn sie merkt, dass an einem bestimmten Punkt eine Grenze überschritten wird. An seiner Reaktion wird sie ablesen können, ob er sie als Menschen wertschätzt und respektiert. Wenn er keine Bereitschaft zeigt, sein Verhalten ihr gegenüber zu ändern, ist er auch kurz und knapp gesagt der Falsche!
Fällt es auch Dir schwer, in bestimmten Situationen Deine Grenzen offen zu zeigen? Erkennst Du vielleicht auch in Dir einen „Schatten“, den Du nicht offen ausleben kannst? Unsere Experten bei reality bites haben jahrzehntelange Erfahrung mit Menschen und können auch Dir auf Deinem Weg zu mehr Selbstwertgefühl helfen. Oder teile uns gerne Deine Geschichte mit, gerne auch anonym! Du erreichst uns unter:

info@realitybites.online

Dein Team von reality bites.

(1) https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/schatten

Autor: Nikolas Beitelsmann

Credits: Photograph by Nadine Shaabana & Martino Pietropoli on Unsplash