Ist Sterben noch zeitgemäß?
Jeder von uns träumt von Unsterblichkeit, gar nicht unbedingt von der eigenen, aber jeder von uns würde sich wünschen, dass wir Geliebte für immer in unserem Leben einschließen können. Was, wenn so eine Welt bald möglich ist? Wenn kein Haustier dich mehr verlassen muss, wenn niemals wieder deine Welt zusammenbricht, weil dir ein unglaublich wichtiger Mensch in den Sog der Unendlichkeit abgleitet; wenn Sterben obsolet wird und wir den Stein der Weisen gefunden haben?
Dieser Artikel befasst sich mit dem Thema Tod und möglicher Unsterblichkeit oder zumindest für uns momentan noch unvorstellbar langem Leben.
Dazu möchte ich dir ein faszinierendes Konzept namens „longevity escape velocity“ vorstellen. Auf Deutsch übersetzt bedeutet das: „Flucht-der-Sterblichkeit-Geschwindigkeit“ oder verständlicher: die Geschwindigkeit, mit der wir vor der Sterblichkeit fliehen.
Ganz vereinfacht gesagt ist die Quintessenz dieser Geschwindigkeitseinheit die Beschreibung für das Phänomen, dass unser medizinischer Fortschritt, also unsere Möglichkeiten für Heilung exponentiell wachsen, und zwar so schnell, dass wir irgendwann schneller darin sind Heilungsmethoden zu erfinden, als dass wir fatal altern oder erkranken könnten. Das schließt dann zwar nicht den Tod durch Unfall oder noch unerforschte Krankheiten aus, macht uns aber wirklich in gewisser Weise schon unsterblich.
Wie das möglich sein soll
In unseren Köpfen ist der Tod die ganz logische und unausweichliche Folge des Lebensprozesses, auch wenn wir uns das Ganze nicht gerne bewusst vorhalten. Aber ist der Tod so fatalistisch wie wir denken? Beispielsweise Richard Feynman sagte: „Es gibt kein Gesetz der Physik und auch keinen biologischen Mechanismus, der die Unausweichlichkeit des Alterns und des Todes bestimmt.“ Und – das stimmt. Es gibt keine übernatürlichen Faktoren, die für uns unbeeinflussbar sind, welche den Tod durch Alterung und altersbedingte Krankheiten determinieren würden.
Dass wir in diesem Jahrhundert noch zu unseren eigenen Göttern aufsteigen, war zu kalkulieren, die Vorstellung dessen aber noch etwas vage. Bevor die meisten Menschen überhaupt angefangen haben, sich konkrete Gedanken darüber zu machen, ist die Wissenschaft schon dabei, einen Aufschwung zu kreieren, der noch nicht einmal erdachte Vorstellungen in kürzester Zukunft Realität werden lässt.
Das liegt daran, dass der medizinisch technische Fortschritt exponentiell verläuft. Jeder von uns kennt exponentielle Kurven und jeder, der schon mal versucht hat, exponentielles Wachstum hervorzusagen, hat gemerkt, dass unser Gehirn ein sehr schlechtes Gefühl dafür hat. Vor allem sobald die exponentielle Kurve an ihrem „Knie“ steht. Und genau davor stehen wir aktuell in der Medizin. Das bedeutet, dass das, was in den nächsten zehn bis 40 Jahren entwickelt wird, dermaßen unsere Vorstellungskraft übersteigen wird.
Machbar macht das Ganze vor allem der Einsatz von künstlicher Intelligenz. Denn sobald künstliche Intelligenzen einmal einen Denkstandard wie Menschen erreicht haben, werden sie dies aber millionenfach schneller können als wir. Was ultimativ zu dem exponentiellen Wachstum führen wird. Denn diese KIs werden KIs bauen, welche wiederum intelligenter sind als sie. Und so wird die Kaskade weiter und weiter gehen. Dadurch werden Probleme lösbar gemacht, die momentan so wirken als könnten wir sie erst in 2000 Jahren lösen (wie zum Beispiel die komplette Kartographierung des menschlichen Gehirns).
In der Praxis würden wir (mit/durch die KIs) die Marker des biologischen Alterungsprozesses runterbrechen müssen. Momentan wird in der Wissenschaft auf ca. neun Marker ein besonderes Augenmerk gelegt. Darunter fallen beispielsweise Schaden an unserem genetischen Code, unregulierte Nährstoffaufnahmen der Zellen sowie Erschöpfung der Stammzellen und gestörte interzelluläre Kommunikation.
Wenn wir dies oder einige Punkte dieser Marker biologisch nicht reparieren können, gäbe es noch den Weg, unsere Biologie durch Technologie zu ersetzen. Beispielsweise durch Neuronentransplantation. Einschätzungen von Wissenschaftlern darüber, wann die KIs bereit dafür sein werden, gehen von „noch in dieser Dekade“ bis hin zu in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts aus. Also selbst die langsamste Einschätzung wird ziemlich schnell Realität werden.
Die Frage, wann wir und unsere Liebsten unsterblich sein werden, bleibt offen; aber es steht fest, dass dies früher geschehen wird, als wir denken.
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